Der Fall Frehe
Der Fall von Familie Frehe ist ein Vorzeigefall für die willkürliche Antragsablehnung durch die Krankenkassen: Paul, der fünfjährige Sohn von Natascha und Carsten Frehe, ist mehrfach schwerstbehindert. In allen alltäglichen Situationen ist er auf Hilfe von seinen Eltern angewiesen: Er kann nicht alleine sitzen, laufen, essen und nicht sprechen. Paul leidet an Epilepsie und Lungenproblemen. Nachts ist er daher auf Atemunterstützung und eine zusätzliche Sauerstoffzufuhr angewiesen. Mindestens ein Elternteil muss rund um die Uhr für ihn da sein, schließlich kann er selbst nicht um Hilfe rufen, wenn es ihm nicht gut geht oder er einen epileptischen Anfall erleidet. Carsten ist berufstätig und Natascha kann keine 24 Stunden am Tag wach sein, um sich um Paul zu kümmern.
Die Frehes stellen daher einen Antrag bei ihrer zuständigen Krankenkasse. Die Barmer lehnt den Antrag auf nächtliche Pflege durch einen Pflegedienst ab, Pauls Zustand sei nicht kritisch genug, um eine solche Leistung zu gewähren. Nachdem die Frehes mehrere Widersprüche einlegt haben, die alle abgelehnt wurden, ziehen sie vor das Sozialgericht. Vor Gericht erhalten die Frehes einstweiligen Rechtschutz. Neun Monate erhält die Barmer zur Prüfung des Sachverhalts, für diese Zeit wird Paul die beantragte Pflegeleistung zugesprochen. Obwohl die Frehes Arztberichte vorlegen konnten, die belegen, dass Paul auf eine nächtliche Intensivversorgung angewiesen ist, lehnt die Krankenkasse nach Ablauf des einstweiligen Rechtsschutzes erneut ab. Auch eine Prüfung von Pauls aktuellem Gesundheitszustand bleibt aus. Die Frehes klagen noch einmal – das Ergebnis: sechs Monate häusliche Nachtpflege im Rahmen des einstweiligen Rechtschutzes. Nach Ablauf der Frist stellen die Frehes einen Antrag auf Verlängerung der Pflegeleistung, doch die Barmer lehnt zum dritten Mal ab. Familie Frehe gibt nicht auf, sie kämpfen weiter für ihr Recht und ziehen erneut vor das Sozialgericht. Ein vorgelegtes MDK-Gutachten tut die Barmer als Ratschlag ab und verweist darauf, dass die Krankenkasse die letztendliche Entscheidung trifft.
Auch als ein neues Gutachten erstellt wird, dass die unbedingte Notwendigkeit einer permanenten Überwachung bescheinigt, lenkt die Barmer nicht ein. Die Frehes sehen schließlich keinen anderen Auswegs und wenden sich an die Öffentlichkeit: Auf Facebook schildern sie ihre Situation und der Beitrag erzielt eine hohe Reichweite – wird weit über tausend Mal geteilt und zahlreich kommentiert. Endlich reagiert die Krankenkasse und will offensichtlich Schadensbegrenzung betreiben: Sie übernimmt die entstandenen Kosten und sichert Paul eine Pflege bis zum Ende des Jahres zu. Aber trotzdem ist noch nicht alles gewonnen – nach Ablauf des Jahres müssen die Frehes die Pflegeleistung neu beantragen.
Leistungsanträge werden aus unverständlichen Gründen abgelehnt
Eine Odyssee dieser Art ist kein Einzelfall: Eine Studie des Berliner IGES-Institutes zeigte, dass die Entscheidungen der Krankenkassen über Leistungsanträge häufig ohne wasserdichte Argumentationsgrundlagen erfolgen. Im Schnitt wird fast jeder fünfte Leistungsantrag aus dem Bereich Vorsorge und Rehabilitation abgelehnt. Die Quote aller Antragsablehnungen liegt in Deutschland bei 5,2 Prozent. Die durchschnittliche Ablehnungsquote bei Hilfsmittels liegt bei 12,5 Prozent. Wenn man sich die krankenkassenübergreifenden Schwankungen vor Augen führt – 2,3 bis 24,5 Prozent – scheint es, als würde sehr unterschiedlich mit derlei Anträgen umgegangen werden. Gegen diese Handhabung müsste umgehend etwas unternommen werden, da die Entscheidungen größtenteils nicht nachvollziehbar seien. Schließlich würde das allgemeine Vertrauen in die Krankenkasse erheblich sinken, wenn sich der Verdacht erhärten sollte, dass Anträge zunächst systematisch abgelehnt werden.
Weiterführende Informationen zu dieser Thematik finden Sie hier: https://www.philip-julius.de/willkuer-der-kassen/